Im Gehirn von Wanderheuschrecken werden Düfte ringförmig kodiert



Bio-News vom 20.06.2024

Ein Team des Max-Planck-Instituts für chemische Ökologie in Jena hat in der Zeitschrift Cell zum ersten Mal dargelegt, wie Gerüche im Antennallobus, dem olfaktorischen Zentrum im Gehirn der Wanderheuschrecken, kodiert werden. Die Forscherinnen und Forscher konnten mithilfe von transgenen Heuschrecken und bildgebenden Techniken eine ringförmige Darstellung von Gerüchen im Gehirn feststellen.

Das Kodierungsmuster im Antennallobus bleibt durch alle Entwicklungsphasen der Heuschrecken konstant. Ein vertieftes Verständnis der Geruchskodierung im Gehirn der Heuschrecken könnte neue Erkenntnisse über die Verhaltenssteuerung dieser Insekten liefern, besonders in Bezug auf ihr Schwarmverhalten.

Die Europäische Wanderheuschrecke Locusta migratoria ist ein ökonomisch bedeutsamer Ernteschädling, der schon im Alten Testament als achte der zehn biblischen Plagen über Ägypten gekommen sein soll, „um alle Grün aufzufressen, was wächst“. Obwohl sie Wanderheuschrecke heißt, ist sie in Europa selten anzutreffen. In Afrika und Asien hingegen verursacht sie nicht nur immense Schäden, sondern hat auch verheerende Auswirkungen auf die dortigen Menschen, indem sie deren Lebensmittelversorgung und Existenz gefährdet. Die Wanderheuschrecken existieren in zwei Zuständen: als sesshafte Tiere und als Schwarm. Besonders gefürchtet sind diese Insekten, wenn sie in großen Schwärmen erscheinen und komplette Ernten zerstören.


Europäische Wanderheuschrecke (Locusta migratoria) beim Fressen

Publikation:


Jiang, X., Dimitriou, E., Grabe, V., Chang, H., Zhang, Y., Gershenzon, J., Rybak, J., Hansson, B. S., Sachse, S.
Ring-shaped odor coding in the antennal lobe of migratory locusts

Cell (2024)

DOI: https://doi.org/10.1016/j.cell.2024.05.036



Wanderheuschrecken zeichnen sich durch einen einzigartigen anatomischen Aufbau ihres Riechhirns, des Antennallobus, aus. Dieser empfängt und verarbeitet Geruchsinformationen von der Antenne. Mit einer unkonventionellen neuronalen Architektur besitzt der Antennallobus der Heuschrecken über 2000 kugelförmige funktionelle Riecheinheiten, die Glomeruli, im Gegensatz zu den 20 bis 300 Glomeruli, die bei den meisten anderen Insekten zu finden sind.


Ringförmige glomeruläre Anordnung in der äußeren Region des Antennallobus einer Wanderheuschrecke

Forschende am Max-Planck-Institut für chemische Ökologie untersuchen, wie Insekten Gerüche erkennen und im Gehirn verarbeiten. Sie sind besonders daran interessiert, inwiefern die Geruchswahrnehmung das Verhalten der Insekten beeinflusst.

„Unser Ziel war es, das seit langem bestehende Rätsel zu lösen, wie Gerüche in der extrem großen Population von Glomeruli, den strukturellen und funktionellen Einheiten im Antennallobus von Wanderheuschrecken, kodiert werden. Diese hochkomplexe Architektur des Heuschrecken-Antennallobus wird seit Jahrzehnten beobachtet, aber die zugrundeliegenden Mechanismen der Duftkodierung blieben ein Rätsel, weil bisher geeignete Methoden fehlten“, sagt Xingcong Jiang, Erstautor der Studie.

Die Implementierung der CRISPR/Cas9-Technologie war ein methodischer Meilenstein für Forscher, da sie die Schaffung der ersten transgenen Wanderheuschrecken ermöglichte, welche den genetisch kodierten Kalziumsensor GCaMP in olfaktorischen sensorischen Neuronen exprimieren. GCaMP ist ein Protein, das leuchtet, wenn es Kalzium bindet, welches in Zellen freigesetzt wird, sobald diese aktiv sind. Durch funktionelle 2-Photonen-Kalziumbildgebung konnten die Forschenden die räumlichen Aktivierungsmuster für eine Vielzahl ökologisch relevanter Gerüche in allen sechs Entwicklungsphasen der Wanderheuschrecke erfassen und abbilden.

„Unsere Ergebnisse zeigen eine ungewöhnliche funktionelle ringförmige Organisation des Antennallobus, die aus spezifischen glomerulären Clustern besteht. Diese glomeruläre Anordnung, die wir durch die gezielte genetische Expression eines gut charakterisierten Geruchsrezeptors bestätigen konnten, ist während der gesamten Entwicklung vorhanden, und das Muster der Geruchskodierung innerhalb der glomerulären Population ist in allen Entwicklungsstadien, von ersten Nymphenstadium bis zur adulten Heuschrecke, konsistent“, resümiert Silke Sachse, Leiterin der Forschungsgruppe Olfaktorische Kodierung am Max-Planck-Institut und eine Hauptautorin.

Die Wanderheuschrecke dient nicht als Modellorganismus wie die Taufliege Drosophila melanogaster. Daher war die Gentransformation für die Forscher eine beträchtliche Herausforderung. Es müssen zahlreiche Parameter geprüft werden, was den Prozess sehr zeitintensiv gestaltet. Zusätzlich erschwert das ungewöhnlich große Gehirnvolumen der Heuschrecke die Erfassung und Analyse von Bilddaten. „Wir sind weltweit die erste Gruppe, die das ortsspezifische Knock-in-Verfahren bei Heuschrecken erfolgreich angewendet hat. Aus der Literatur ist bekannt, dass die Erfolgsrate bei dieser Art der Transgenese sehr gering ist, trotzdem haben wir es geschafft“, freut sich Xingcong Jiang.

Interessanterweise reflektiert die räumliche Duftkodierung im Antennallobus von Heuschrecken eher die chemische Struktur der Düfte als ihre Wertigkeit – ob sie angenehm oder unangenehm sind. Dies steht im Gegensatz zu Fliegen, bei denen die Wertigkeit der Düfte im Antennallobus repräsentiert wird, da angenehme Düfte andere neuronale Strukturen aktivieren als unangenehme Düfte. „Wir haben beobachtet, dass Düfte bestimmter chemischer Klassen ein bestimmtes Muster hervorrufen: Zum Beispiel rufen aromatische Verbindungen mit ähnlicher chemischer Struktur, aber entgegengesetzter Verhaltensbedeutung, stärkere Reaktionen in den Randbereichen des Antennallobus hervor. Wir schließen daraus, dass die Repräsentation der Geruchswertigkeit nicht im Antennallobus, sondern in höheren Gehirnzentren wie dem Pilzkörper und dem lateralen Horn kodiert wird“, sagt Bill Hansson, Direktor der Abteilung Evolutionäre Neuroethologie und einer der Hauptautoren.

Die ringförmige Struktur des olfaktorischen Codes stellt ein einzigartiges anatomisches Charakteristikum der Wanderheuschrecke dar. Jedoch ist dieser Kodierungsmechanismus nicht zwangsläufig auf andere Heuschreckenarten anwendbar. „Wir fragen uns, ob diese ringförmige Struktur eine schlechtere Alternative oder eine bessere Lösung mit Vorteilen gegenüber der glomerulären Anordnung darstellt, die wir bei Fliegen gefunden haben. Zukünftige Studien, die die Regeln der Duftkodierung bei anderen Insektenarten untersuchen, werden zeigen, ob andere Heuschreckenarten ein ähnliches Kodierungsmuster entwickelt haben“, meint Silke Sachse und hat bereits weiterführende Studien im Blick.

Das Verständnis, wie Insekten Gerüche wahrnehmen und verarbeiten und wie dies ihr Verhalten beeinflusst, ist entscheidend für ein tieferes Verständnis ihrer ökologischen Interaktionen mit der Umwelt. Dieses Wissen kann zum Beispiel dazu beitragen, die Bekämpfung von Ernteschädlingen wie den Wanderheuschrecken zu verbessern. „Wir glauben, dass ein besseres Verständnis der Geruchsverarbeitung im Riechhirn unser Wissen über die neuronale Modulation, die zum Beispiel auch der Schwarmbildung bei Heuschrecken zugrunde liegt, erheblich erweitern wird,“ ist sich Bill Hansson, sicher.


Diese Newsmeldung wurde mit Material des Max-Planck-Instituts für chemischen Ökologie via Informationsdienst Wissenschaft erstellt.

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